Geschichte
Ein kleines Lied der Erinnerung
Albert Johnen
Geschichte, Geschichten und Geschichtchen
um und über Broich und Linden-Neusen
Aufbereitung für elektronische Medien
Dr. Karl-Wilhelm Hirsch
Verwertungsrechte, Veröffentlichungsrechte
Die Verwertungsrechte für das Werk liegen bei Franz Johnen als Autor und Herausgeber.
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Mit Schreiben vom 2. August 2019, hat Albert Johnen die Genehmigung erteilt, dieses Werk auszugsweise im Vollzitat mit Quellennachweis auf der Webseite www.webwuerselen.de zu veröffentlichen
Inhalt
Vorwort webWürselen
Einführung
In seinem Buch "Ein kleines Lied der Erinnerung" erzählt der Autor und Herausgeber Albert Johnen seine persönliche Geschichte, die eng, ja sehr eng mit Linden-Neusen verbunden ist.
Das Buch ist im kommerziellen Sinne nie veröffentlicht worden. Albert Johnen hat alles selbst geschrieben, daraus ein Buch gesetzt und mit den Exemplaren einer privat gedruckten Kleinausgabe seine Familie, seine Freunde und seine Bekannten mit einer Ausgabe versorgt. Eher zufällig - so wie es auf einem Dorf gang und gäbe ist - erlangte ich Kenntnis von dem Buch und bald auch ein Exemplar des kleines Lieds der Erinnerung. Es begeisterte mich. Gab es doch einen Blick auf die Geschichte von Linden-Neusen wieder, der aus einer leidenschaftlich persönlichen Sicht das Leben in Linden-Neusen in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts beschreibt.
Wer lebte zu dieser Zeit in den Häusern von Linden-Neusen? Wie wuchs man auf? Wo ging man einkaufen und wie wurde man den Müll los in einem Dorf, das für einen Jungen das Zentrum der Welt war. Das Familienleben gab Halt, die bürgerlichen und dörflichen Gewohnheiten gaben den Leben Schranken.
Albert Johnen ist nicht nur der Junge und Mann seiner Zeit, sondern auch ein Linden-Neusener, der die Mundart beherrscht und sich an alte Straßen und Flurnamen erinnert. Wenn er die Wege durchs Dorf beschreibt, nutzt er alte Bezeichnungen. Wenn er Menschen charakterisiert, kommen mundartliche Bezeichnungen zum Zuge, die das "Lied der Erinnerungen" auch für Außenstehende authentisch machen. Es ist äußerst empfehlenswert, sich auf seinen Erzählstil einzulassen, um in den sicher persönlichen Erinnerungen die auch für Linden-Neusen allgemein aufschlussreichen Informationen zu gelangen.
Übersetzung ins Englische
Natürlich kann der Stil nicht ins Englische herübergerettet werden. Dazu bedürfte es einen Muttersprachler mit Sinn für Lokalcolorit. Aber die englische Übersetzung zeigt in der teils mühevoll gefundenen Wortwahl und dem eng am Original angelehnten Satzbau doch einiges vom Stil des Autors. So hofft der Übersetzer jedenfalls.
Das Buch enthält viele Bilder und auch Tabellen, die im Web nicht wiedergegeben werden können bzw. dürfen. Da sind viele Bilder von Personen, vollständige Listen von Klassenkameraden. Hier muss auf das Original verwiesen werden.
Rudolf Mohren
Besonders bedauerlich ist, dass auch Federzeichnungen von Rudolf Mohren hier nicht wiedergegeben werden können. Herr Johnen hat zwar dessen ausdrückliche Genehmigung, sie in seinem Buch zu verwenden. Dies ist aber nicht hinreichend für die Präsentation bei webWürselen. Da wir den derzeitigen Rechteinhaber noch nicht ausfindig machen konnten, führt die folgende Wiedergabe der Bilder im Kleinstformat auf dieser Seite vielleicht dazu, dass wir Kontakt bekommen.
Vorschau der Zeichnung von Motiven aus Linden-Neusen von R. Mohren aus der Mitte des 20. Jahrhunderts
Inhalt
Bei der Aufbereitung des Buches für das Web folgen wir der Seitengliederung im Buch. Da viele Bilder fehlen müssen, gilt das nur so ungefähr. Die Aufbereitung ist nicht abgeschlossen und wird an langen Winterabenden fortgesetzt.
Ein kleines Lied der Erinnerung Vorwort
Bereits in den 60er Jahren geplant, wurde dieses Büchlein erstmals 1998 in 16 Exemplaren in "Heimarbeit " auf dem PC gedruckt. 1999 wurden die gefundenen Druckfehler ausgemerzt, das Büchlein um über 20 Text- und Bilderseiten erweitert und wiederum auf dem PC gedruckt, jetzt aber in 35 Exemplaren. 2000 folgten nochmals 30 Stück, dann ging der PC in die Binsen und mit ihm alles gespeicherte Material.
Da ich jedoch immer wieder nach "esue e Böchsje" gefragt wurde, habe ich im Winter 2003/2004 Texte und Bilder in den neuen Computer eingegeben, auch einige Fotos hinzugefügt. Das Büchlein ist jedoch nach wie vor ein reines Amateurwerk, hergestellt o h n e Unterstützung durch Inserenten oder Sponsoren.
Besonderen Dank verdienten sich die "Dörpsjonge" Rudi Mohren und "FJS " Franz-Josef Soquat für ihre wohlgelungenen Beiträge sowie Frau Ida Linden aus Ofden für den Broichtalführer. Hubert Plum aus der Broicher Siedlung half in uneigennütziger Weise bei anstehenden Computerfragen, besonders beim Scannen des Bildmaterials.
Dem Kloster Broich gilt mein Dank für die mehrmalige freundliche Unterstützung, ebenso auch den "Siedlermädchen" aus dem Hause Küffen und dem Klaus Wehren aus dem End, die bei der "Personensuche " fleißig halfen.
Ein herzliches Dankeschön auch an Herrn Harmuth aus Aachen, der die beiden ersten Auflagen so sorgfältig „e Fazoun" brachte und an Frau Rong-Küppers vom Krugenofen, die seit einigen Jahren meinen Arbeiten den richtigen Rahmen verleiht.
Den ganz großen Dank aber hat sich meine liebe Frau Agnes verdient, die mit viel Geduld und Verständnis sowohl die Entstehung als auch die Weiterentwicklung des Büchleins begleitet hat.
Und jetzt: viel Spaß beim Lesen !
Bitte beachten Sie das Urheberrecht von Albert Johnen
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Ein kleines Lied der Erinnerung Seiten 1 bis 5
Geboren 1932, kam ich in eine deutsche Welt, die noch nicht endgültig entschieden hatte, ob denn Hitler nicht doch besser sei als die erst junge und ungewohnte Demokratie, in deren Tohuwabohu von Rechten, Linken, linken Rechten, rechten Linken, Liberalen und Klerikalen sich kein Mensch mehr auskannte und die auch mit der Arbeitslosigkeit nicht fertig wurde.
Manch einer wünschte sich im Stillen wieder einen deutschen Kaiser.
Doch 1933 kam Hitler, dem man eben mehr zutraute, und der war (aber das kam erst viel später ans Licht) entschieden kompromissloser in der Wahl seiner Mittel auf dem Weg nach oben als die Nachfahren der Frankfurter Paulskirche.
Von all dem hatte ich natürlich keine Ahnung, als ich am 18. August als Löwe in Steißlage auf die Welt kam, assistiert von Dr. Böker und Frau Jung, die allen fünf Kindern von Kathrinchen und Franz auf die Welt halfen. Natürlich zu Hause. Willi 1927, Cäcilie 1929, dann ich 1932: wir drei wurden mit ihrer Hilfe oben in Linden bei Michaelis geboren, wo wir damals wohnten. Helene kam 1934 in der Rathausstraße 4 zur Welt und Gerda kam mit ihrer Hilfe 1942 in der Wilhelm-Gustloff-Straße 53 c (so hieß die ehemalige Rathausstraße und heutige Fronhofstraße damals) ans Tageslicht in 1938 erbauten Haus der Johnen's.
Aus der ersten Zeit bei Michaelis habe ich natürlicherweise keine Erinnerungen, später war ich mit Vater oft dort. Michaelis hatten einen riesengroßen Garten und waren evangelisch. Was der Freundschaft der beiden Familien jedoch keinerlei Abbruch tat, obschon die Religionszugehörigkeit in meiner Jugend noch eine große Rolle spielte. Michaelis hatten zum Garten hin eine große, schöne Veranda mit einem großen Fliegengitterschrank für Lebensmittel, der immer sehr anziehend auf mich wirkte. Auch hatten sie einen damals sehr seltenen Kachelofen, der im Winter eine wunderbare Wärme abgab.
Herr Michaelis ist früh gestorben, ich habe in nicht gekannt. Er war Bienenzüchter, wie Vater. Die Hälfte des großen Bienenstandes hat Vater beim Hausbau 1938 mit nach Linden geholt. Von diesem Bienenstand wird in diesem Büchlein noch öfter die Rede sein. Er musste erst weichen, als Lene und Martin Kuck 1971 dort bauten.
Frau Michaelis war immer gut zu mir, ich bekam immer etwas zu essen. Michaelis hatten vier Kinder: Grete, Hans, Else und Hilde. Alle waren blond bis auf Hilde, die als einzige die schwarzen Haare ihrer Mutter hatte und die scherzhaft das Zigeunerkind genannt wurde.
Wenn wir zu Michalis gingen, dann ging's von uns aus in die Pützgracht, am Ackersweiher vorbei und durch den Hohlweg. Halbwegs Richtung Euchen kam dann eine Abzweigung nach links durch die Felder. Dieser reine Feldweg kam etwas oberhalb der Ziegelei von Kappertz aus, neben den Häusern, die man damals "die neu Böj" nannte. Diese Häuser hatte die Gemeinde bauen lassen, um dort sozial benachteiligte Familien unterzubringen, Familien, die meistens "enne janze Rammel Pute""eine ganze Menge Kinder" hatten.
Helene kam also auf der 1.Etage in der Rathausstraße 4 zur Welt. Unten wohnte die Familie Leonhard Maaßen mit Margarethe, Tinni und Josef, mit denen wir uns gut verstanden. Das Haus war das ehemalige Haus des Bürgermeisters.
Das Haus daneben war das Bürgermeisteramt von Broich-Linden, jetzt war es die Polizeistation mit Anton Dörsch und Franz Mandelartz. Im Haus wohnten Dörsch, Kather und die alte Frau Scherberich. Im Keller war das "Kittchen".
Egon Dörsch war als Nachbarskind mein erster Spielkamerad. Er war nur wenig älter als ich, doch viel kräftiger. Er war auch in der Schule eine Klasse über mir, da er vor und ich nach dem Stichtag geboren war. Einmal bekam er zu Weihnachten ein Paar Boxhandschuhe, mit denen er mich ganz ordentlich vertrimmte. Deshalb kann ich das Boxen bis heute zu nicht leiden.
Kather waren auch "kinderreich" wie wir. Herr Kather war Fahrer bei Kronenbrot und hatte neben dem Haus von Amberg/Heinrichs (heute Kronenbrot) einen langen, aber schmalen Garten, der an die Hauswiese von Wilhelm Beckers grenzte, die heute ganz bebaut ist. Die Möhren aus diesem Garten schmeckten besser als die aus unserem.
Gegründet 1865 als Bäckerei in Linden-Neusen wurde Kronenbrot im Laufe des 20. Jahrhunderts als Familienunternehmen (Familie Maiz) zur Großbäckerei, die bis ins Jahr 2019 viele Vollversorger im Rheinland mit frischem Brot versorgte. Die Firma Kronenbrot wurde im Juli 2019 geschlossen. 530 Mitarbeiter verloren ihre Arbeit.
Vom Haus zur Schule waren es nur ein paar Schritte. An die Einschulung erinnere ich mich nicht mehr, nur an unsere erste Lehrerin, Fräulein Wolf, die fast immer Pfefferminz- oder Veilchenpastillen lutschte. Für mich Sechsjährigen war sie die schönste Frau der Welt und ich wäre für sie durchs Feuer gegangen.
Das Haus, in dem wir wohnten, hatte ein großes Treppenhaus mit einem dicken, stark abschüssigen Geländer, auf dem man schnell nach unten rutschen konnte, doch das war leider verboten. Auf der Außentreppe dieses Hauses wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben fotografiert, zusammen mit Cäcilie, Lene und Gisela Böker.
Wir hatten auch einen großen Balkon, der damals oft genutzt wurde, denn es gab noch keinen Straßenlärm, denn erstens war die Straße ungepflastert, zweitens gab es - mit Ausnahme von Dr. Böker - in der Straße noch keine Autos und drittens war die Ein- und Ausfahrt von Kronenbrot zur Hauptstraße hin, direkt neben dem Schulgässchen der alten Schule. Auf "unserer" Straße bewegten sich mithin Pferdefuhrwerke, Vieh, Handwagen und das Auto von Dr. Böker.
War schönes Wetter, so ging Vater sonntags mit mir - manchmal war auch Lene dabei - Spazieren. Meist Richtung Broicher Wald / Broicher Weiher / Broicher Mühle. Die erste Möglichkeit war durch die Pützgracht nach Broich, vorbei an Gottfried Kellenters " Broicher Häuschen ", dann dem Bach folgend an der "Rollmopsfabrik" und an "Schunke Kisskull" vorbei. Vor dem Weiher kam noch ein Sumpfgebiet mit Sumpfotterblumen, viel Wiesenschaumkraut und mehreren Quellen, von denen heute dort noch einige existieren. Ein zweiter Weg führte übers Osterfeld entlang der Ley-Siedlung und der Randsiedlung bis vor den Blumenrater Berg, von dort aus entlang dem "Schlammweiher" und dem "richtigen" Weiher zur Mühle.
Der längste Weg war durch die Pützgracht und übers Feldchen bis kurz vor Euchen, dann rechts ab, an Wiesen vorbei und über die Broicher Straße hinweg durch die Felder bis zur Eiche mit dem Kreuz, den Hohlweg hinunter zur Mühle. Welcher Weg auch immer genommen wurde, es gab immer eine Pause und ein Glas "Frischgeist" (so nannte man früher die Limonade), entweder bei Mertens in der Mühle oder bei Kellenter in Broich. War Vater besonders guter Laune, dann durfte ich für einen Groschen aus einem Drehautomaten eine schokoladenüberzogene Nougatraute ziehen, woher es wohl kommt, daß ich heute noch leidenschaftlich gern Nougat esse.
Doch vom Nougat wieder zur Sumpfwiese. Hatte es stark geregnet, war dieser Weg zur Broicher Mühle ein rechtes Abenteuer, denn man musste über einen Brettersteg, dem einige Bretter fehlten, sodaß man das Wasser unter sich nicht nur hörte, sondern auch sah, wie es gurgelnd und schäumend in den unteren Weiher strömte. Das Weihergebiet bestand aus drei Weihern: dem Mühlenweiher, der relativ sauber war, einem Zwischenweiher zur Regulierung und dem eigentlichen Schlammweiher vor der Randsiedlung, der zur Klärung der Kohlenschlämme diente, die von der Mariadorfer "Kull""Kohlegrube" aus über eine Rohrleitung entlang der Blumenrather herangeführt wurden. Dieser Weiher wurde manchmal trockengelegt und der Bodensatz, ein kohlehaltiger, fetter Schlamm, wurde abgebaut und als billiges Heizmaterial verkauft. Wir haben Schlamm noch bis etwa 1951 gebraucht. Er diente vor allem als "Gedecks", einer langsam brennenden Abdeckung der Koks- oder Kohlenlage der Heizung während der Nacht.
Der Weiher war die natürliche Entwässerung seiner näheren Umgebung, nach Norden hin von einer sandigen Hügelkette umgeben, die mir damals sehr hoch erschien. In Richtung Ofden stand oben auf dieser Anhöhe ein dichter Fichtenwald, der, wie die Gruben, dem Eschweiler-Bergwerks-Verein EBV gehörte und "die Kull" mit Holz versorgte, vor allem mit Strebholz für die Gewerke untertage. Deshalb wurden solche Wälder nicht alt, und nach dem Krieg war auch dieser Wald ruckzuck innerhalb kürzester Zeit in der Kull verschwunden.
Etwa in der Mitte der Weiherlandschaft verlief ein ginsterverdeckter, steiler Pfad nach oben zum Plateau. Dort stand ziemlich frei eine Kiefer, von deren unterster Astgabelung man unser Haus sehen konnte. Zuletzt gesehen habe ich diesen Baum 1953, bin auch nochmal raufgeklettert. Später war er verschwunden.
Wie gesagt, waren wir bei schönem Wetter sonntags immer unterwegs, manchmal gingen wir zu Onkel Johann nach Neusen, wo wir dann schon mal Onkel Klaus und Onkel Gustav trafen. Hier, im Sträßchen, waren Vater und seine 12 Geschwister geboren. Vaters Eltern waren schon länger tot, sonntags nach dem Hochamt gingen wir zu ihren Gräbern, die etwas auseinander lagen, denn Peter-Josef Johnen starb bereits 1919 und seine Frau Lena 1922. Den ungefähren Platz dieser Gräber auf dem alten Friedhof hier kenne ich noch heute.
Manchmal ging's auch zu Onkel Josef nach Weiden, zum Eifelblick. Dann wurde ich "gut" angezogen, denn Tante Agnes achtete sehr hierauf, was Mutter genau wusste. Auch die "Tant Bäbb" (Steinbusch), eine Schwester von Vaters Mutter, besuchten wir manchmal. Sie wohnte in der "Graat", dem letzten Stück der Broicher Straße vor der Neusener Kreuzung. Tant Bäbb war ein lebhaftes, kleines Persönchen mit einem Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel und immer guter Laune. Oft bekam ich von ihr eine saftig - leckere Birne. Für diese Birnen war sie in der ganzen Familie bekannt.
Die schönsten Spaziergänge waren und blieben für mich jedoch die, die durch Felder und Wiesen hingingen in den Broicher Wald und zum Broicher Weiher.
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Ein kleines Lied der Erinnerung Seiten 6 bis 7
Gerne lief ich auch in die Dell, zu " Tant Traut ", meiner Patentante, wo es immer etwas Handfestes zu essen gab, wo es Kaninchen gab und wo immer mindestens ein Schwein gemästet wurde, manchmal mit "Muttföische" aus dem nahegelegenen Ackersweiher, auf dem man im Winter wunderbar die Bahn schlagen konnte. (Schlittschuhe hatten damals nur sehr wenige Kinder.) Sehr beeindruckt war ich bei Tant Traut von einer Bodenklappe, die man hochheben musste, um an die Kellertreppe zu kommen.
In der Pützgracht waren auch die Rodelberge der Lindener Kinder. Für die Kleineneren in Dittmanns Wiese, etwa dort, wo heute die Häuser von Amberg, Köther und F. J. Nießen stehen. Die größeren Kinder rodelten von den verschiedenen Höhenlagen im "Jüddeküllchen" (den heutigen Grundstücken Knipprath und Basten) aus, oder aber auf dem letzten abschüssigen Teil des Neuen Weges, der heutigen Mozartstraße. Wagemutige rodelten gegenüber von Wahlen/Wöbel eine ziemlich hohe und steile Wiesennase hinunter bis auf die Broicher Straße. Die Tapfersten jedoch rodelten in der Dell, von der Hecke hinter " Bieße Ween" aus hinunter bis zur Hecke vor dem Bach (heutiges Kindergartengelände). Diese steil abfallende Rodelbahn hatte nur einen sehr kurzen Auslauf. Wer nicht Acht gab, der landete in der Hecke, bei sehr hohem Tempo auch schon mal im Bach, der damals noch nicht kanalisiert war, nur in Beton eingefasst.
Apropos Kanal. Linden-Neusen war in meiner Jugendzeit noch ohne Kanalisation, die erst nach 1950 in Angriff genommen wurde. Von Vorweiden aus hatte die Molkerei Köpp Ende der 30er Jahre einen -privaten- Kanal bis zur Dell legen lassen und wahrscheinlich auch das Betonbett bis an die Kurve vor dem Ackershof (bewohnt damals von Schunk) finanziert. An diesen Kanal waren oben in Linden einige Häuser angeschlossen, darunter auch Kappertz. Der Rest des Dorfes war jedoch ohne Kanalisation, die einfachen Abwässer flossen in die "Sief", für den Rest waren die Plumpsklos da. Wenn bei Mainz gebadet wurde, war die " Sief " bläulich verfärbt und roch nach guter Seife. Einige Häuser hatten für die Abwässer ein Ein- oder Mehrkammersystem im Garten, der Inhalt wurde je nach Bedarf und Wetter als Dünger für den Garten benutzt.
Die Wasserleitung war mit Sicherheit auch noch nicht alt, denn bis zum Krieg gab es noch an einigen Stellen im Dorf die hohen, gußeisernen Pumpen mit den riesigen Schwengeln. Wasser gaben sie allerdings keins mehr.
Haupttransportmittel in meiner frühen Jugend waren die Füße. Mariadorf, Weiden oder St. Jöris waren keine Entfernungen. Für Lasten waren Pferd und Wagen da, nur Kronenbrot fuhr schon mit motorisierten Lieferwagen weitere Strecken und auch Leo Rosenbaum in Neusen hatte schon einen Speditions-Lastwagen.
Die Hauptstraße war so wenig befahren, daß wir sonntags z.B. vor Soquars Haus auf der Straße unbehelligt mit Papierfliegern spielen konnten, wenn uns das Spielen auf dem Speicher mit den Zinnsoldaten zu viel wurde, von denen es bei FJS eine Unmenge gab.
Die elektrische Kleinbahn, "die Tramm" die seit 1896 durch unser Dorf fuhr, war teuer und wurde nur für lange Strecken benutzt, wenn man z. B. nach Aachen fuhr oder nach Stolberg. Auch Schüler fuhren nach Aachen, da es hier herum keine weiterführenden Schulen gab. Kinderreiche Familien bekamen vom Staat Fahrkartenzuschüsse, die sich nach dem Einkommen der Eltern richteten.
Doch einmal im Jahr fuhr "man" bestimmt nach Aachen: in der Vorweihnachtszeit. Man fuhr "et Kresskengche kikke" und einmal sah ich dabei sogar eine Aufführung von " Peterchens Mondfahrt " im Stadttheater. Wahrscheinlich war ich unerwarteter Weise längere Zeit "brav gewesen".
Die Eisenbahn war schon früher da, machte von Aachen aus jedoch den Umweg über Kaisersruh, Würselen, Euchen und Mariadorf, um nach Jülich zu kommen, statt den direkten Weg über Linden und Mariadorf zu nehmen. Noch in meiner Jugend behauptete die Fama (besonders die der "Wiieter Peäd "), die Linden-Neusener Bauern hätten den Bau der direkten Bahnverbindung Aachen - Jülich über Linden verhindert, weil sie Angst gehabt hätten, ihre Kühe würden dann keine Milch mehr geben und ihre Hühner keine Eier mehr legen. In Wirklichkeit wird wohl der Kaninsberg die Ursache gewesen sein, dessen große Steigung aus dem Aachener Loch heraus die Eisenbahner vor Probleme stellte, die von der Kosten/Nutzen-Seite her damals nicht zu lösen waren.
Die "Elektrische" hatte diese Probleme nicht, obschon auch sie im Winter schon mal Schwierigkeiten hatte, wenn das Eis auf und in den U-förmigen Schienen saß. Sie fuhr dann einfach nicht weiter und wartete "auf besseres Wetter", wenn auch der auf die Geleise gestreute Sand nicht half. Die Fahrgäste warteten entweder geduldig mit oder sie mussten per pedes weiter.
Und wieder zurück zum Rodeln. Die Neusener Kinder rodelten "op et Höefje" (manchen sagen auch "henger et Höefje". Von uns aus kam man dorthin entweder "döerch et Eng", also über die Endstraße, oder aber -einfacher- über einen Durchgang zwischen der Bäckerei Esser (nachmals Edi Cauberg) und dem Haus von "Essesch Käsper". Dieser Durchgang diente auch den Lindenern als Abkürzung, wenn sie nach St.Jöris wollten und führte am Höfchen vorbei durch Wiesen mit Drehkreuzen in der Umzäunung hin zum St. Jöriser Weg ausgangs des Ends. Diesen Durchgang gibt es heute - leider- nicht mehr. Das eigentliche "Höefje" war eine bebaute Hof- und Hinterhoffläche zwischen dem Haus von Kaspar Esser und dem von Kranz/Bock, und es soll dort früher immer " völ mäng" (allerhand los) gewesen sein.
Die Kinder aus der Ley-Siedlung rodelten " auf Blumenrath" vor dem Schlamm-weiher, oder aber gegenüber bei Leuer. Mit meinem kurzen Stummelschlitten (auf dem unser Andreas noch seine ersten Rodelversuche gemacht hat), bin ich einmal auf Blumenrath gewesen, wollte mich zeigen und startete direkt von ganz Oben. Ich landete natürlich im Stacheldraht und zog reichlich zerkratzt und klein-laut nach Hause. Lange her, doch nicht vergessen.
Doch zurück zum Sommer und in die Pützgracht. In den unteren Astgabeln niedriger Bäume bauten wir Häuschen aus Zweigen und alten Brettern, wie richtige Kinder es auch heute dort noch tun, allerdings viel vornehmer mit Sperrholz und Pappe, Materialien, die damals noch keine Wegwerfartikel waren. In manchen der alten Bäume fanden wir Baumerde, die beste Blumenerde, die es gab.
Am Ackersweiher war der Bauernhof Schunk/Decker. Dort waren wir nicht besonders gut angesehen, weil, nach Ansicht der alten Frau dort, um den Ackersweiher herum viel zu viel " jejööstert " wurde.
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