Die Herrschaft der Franzosen war nicht von langer Dauer. Sie endete 1814, ein Jahr nachdem Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig seine entscheidende Niederlage erlitten hatte. Dennoch werden nach dem Abzug der Franzosen die alten Machtverhältnisse nicht wiederhergestellt. 1815 fallen die Rheinlande nach dem Beschluss des Wiener Kongresses Rheinlande an Preußen.
An den Rat- und Gemeindehäusern erscheint, als Zeichen der neuen Landeshoheit der preußische Adler. Noch im selben Jahr werden die preußischen Rheinlande in die sechs Regierungsbezirke Düsseldorf, Aachen, Köln, Kleve, Koblenz und Trier eingeteilt. 1816 entstehen die Landkreise und fortan gehört die Gemeinde Würselen zum Landkreis Aachen.
Auf vielen Gebieten der Verwaltung haben sich die von den Franzosen eingeführten Reformen, wenn auch in veränderter Form, gehalten. Am deutlichsten wird da in der Gemeindeverwaltung, für die weiterhin die französische Kommunalverfassung gültig bleibt. Erst 1845 tritt an ihre Stelle die Rheinische Gemeindeordnung. Am 5. September 1817 vereidigt der Aachener Landrat den bisherigen Gemeindesekretär Sebastian Kind zum Bürgermeister.
Die alte Grube Teut im Wurmtal (um 1780)
Dieser Akt ist deshalb so bedeutsam, weil Kind nach einer Reihe ehrenamtlich tätiger Bürgermeister der erste Berufsbürgermeister der Gemeinde wird. Als offiziellen Amtssitz bezieht zwei Zimmer in der alten Schule am Markt; alles recht klein und bescheiden, und man kann es dem frischgebackenen Bürgermeister sicher nicht verdenken, wenn er seine Amtsgeschäfte meistens von seiner Wohnung in Adamsmühle aus führte.
Im Jahre 1823 lebten in der Bürgermeisterei Würselen 3648 Bürger. Das Dorf Würselen selbst zählte etwa um dieselbe Zeit 340 Einwohner. Ihre Zahl wuchs nur langsam.
1845 waren es erst 358, das Dorf bestand aus 69 Häusern. In der Gesamtgemeinde war die Zahl der Einwohner bis 1871 auf 5464 gestiegen, die in insgesamt 912 Häusern wohnten.
Mit der Einführung der Rheinischen Gemeindeordnung vom Jahre 1843 erhielt die Bürgermeisterei Würselen 18 Gemeindeverordnete. Sie mussten sich gleich zu Beginn ihrer Amtszeit mit einem unerfreulichen Problem herumschlagen: Die Regierung in Aachen wollte den vom Gemeinderat gewählten Bürgermeister nicht in seinem Amt bestätigen. Über den Kopf des Gemeinderates hinweg ernannte sie den Bürgermeister von Haaren gleichzeitig zum Bürgermeister von Würselen.
Mehr als 50 Jahre wurden Haaren und Würselen danach in Personalunion verwaltet, wobei sich der Sitz der Verwaltung in Haaren befand, obwohl Würselen die größere und bedeutendere der beiden Gemeinden war. In Würselen selbst richtete man in dem als Verwaltungsgebäude angekauften Haus Markt 21 lediglich im Erdgeschoß ein Zimmer als Gemeindebüro ein, in dem der Bürgermeister wöchentlich einige Sprechstunden abhielt.
Außerdem gab es in diesem Haus einen Sitzungssaal für den Gemeinderat, einen Raum für die Registratur, zwei Arrestlokale und die Wohnungen des Gefangenenwärters und eines weiteren Polizeibeamten. Sie stellten in der Mitte es 19. Jahrhunderts die einzige Polizeitruppe Würselens dar.
Beim Beginn der Industrialisierung konnte man daher in Würselen an eine vielhundertjährige gewerbliche Tradition anknüpfen. Vor allem in der Metallverarbeitung verfügte der Ort über reiche Erfahrungen. Schon 1650 gab es sechs Kupfermühlen, in deren Schmelzöfen aus Kupfer und Galmei Messing gewonnen und zu Blechen und Platten gehämmert wurde.
Anschließend übernahmen Kupferschmiedemeister, die „Kofferschläger“, das Material und verarbeiteten es zu künstlerisch hochstehenden Erzeugnissen, die in die ganze Welt verschickt wurden. Neben den Kupferschlägern besaßen auch die Würselener Nadelmacher Weltgeltung. Ihre Produkte, die in den Schauermühlen an der Wurm „gescheuerten" und geschliffenen Nadeln, wurden ursprünglich gleichfalls aus Messing hergestellt.
Noch größere Bedeutung als diese beiden Gewerbezweige erlangte jedoch der Steinkohlebergbau für die weitere Entwicklung Würselens. Der Bergbau im Wurmrevier ist einer der ältesten in Europa. Schon im 12. Jahrhundert geben die Jahrbücher der Mönche von Klosterrath Kunde von der Steinkohlengewinnung an der Wurm.
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Adamsmühle im Wurmtal nach einem Foto aus dem Jahr 1896
Von diesen frühen Anfängen an bis zur Franzosenzeit hat sich der Aachener Rat als Landesherr einen entscheidenden Einfluss auf die Gewinnung der Kohle im Würselener Bergwerksfeld gesichert. Wer in Würselen Kohlen fördern wollte, musste beim Aachener Rat die Verleihung beantragen, zahlte eine Einschreibe gebühr und erhielt dann die Erlaubnis, eine Kohleader „mit Gang und Strang" auszubeuten, natürlich gegen entsprechende Abgaben an die Stadt. Vorübergehend hatte die Stadt Aachen mit der Grube Teut im Wurmtal sogar ein eigenes Bergwerk besessen.
In ihren Anfängen erfolgte die Kohlegewinnung im Wurmrevier fast ausschließlich im Tagebau, da die meisten Kohlenflöze zur Erdoberfläche austraten. Später schlossen sich mehrere Berechtigte zu Gesellschaften oder kleinen „Gewerkschaften" zusammen, die in der Lage waren, den Kohlenabbau auch unter Tage in größerem Stil und mit besseren Hilfsmitteln zu betreiben. Aber noch im 18. Jahrhundert gab es im Gebiet von Würselen nicht weniger als 69 „Kohlwerke“! Erst im 19. Jahrhundert setzten die ersten größeren Konzentrationsmaßnahmen ein.
Die Vereinigungsgesellschaft für Steinkohlebergbau im Wurmrevier erwarb nacheinander die drei bedeutendsten Würselener Gruben Gouley, Teut und Königsgrube und schuf damit die Voraussetzung für: einen leistungsfähigen Bergbau im Zeitalter der Industrialisierung. Im Jahre 1907 ging die Vereinigungsgesellschaft dann im Eschweiler Bergwerks-Verein auf.
Im Verlauf des 15. Jahrhunderts siedelten sich zu den bereits vorhandenen weitere bedeutende Gewerbezweige in Würselen an, unter ihnen Werke der Tuchindustrie, der Elektro- und der chemischen Industrie.
Allerdings bescherten sie den Verantwortlichen in der damaligen Großgemeinde nicht nur Freude: In dem allgemeinen Streben nach schnellem Wachstum und Steigerung der Ertragskraft, das die hektischen frühen Jahre der Industrialisierung beherrschte, wurden die sozialen Probleme allzu leicht über sehen. So wurde denn schon bald die Armenfürsorge zu einem Schmerzenskind der Verwaltung. In einem Bericht, aus dem Jahre 1856 heißt es darüber:
„Das Armenwesen dehnt sich in der Gemeinde infolge der von Jahr zu Jahr sich mehrenden industriellen Etablissements, welche teils die Lebenskraft und die Gesundheit der Arbeiter in hohem Maße beschädigen, teils dieselben zu einer unregelmäßigen Lebensweise verleiten, immer mehr aus. Die Kinder männlichen und weiblichen Geschlechts aus der Arbeiterklasse, welche in hiesiger Gemeinde überwiegend ist, können kaum ihre Entlassung aus der Schule abwarten, um nur so schnell als möglich in Fabriken oder Bergwerken sich Beschäftigung zu suchen und Geld verdienen.
Der Wert des Geldes wird, weil es so leicht gewonnen wird, nicht geschätzt; Verschwendung, Trunksucht usw. sind unausbleibliche Folge …“. In dem Bericht wird weiter geklagt, dass die Armut und die Zahl der Armen ständig zunehme und die Zuschüsse zur Armenkasse sich daher bedeutend erhöhten.
Eine soziale Gesetzgebung kannte man noch nicht. Aber schon 1851 wurde zur Unterstützung der Fabrikarbeiter bei Krankheiten in Würselen eine Unterstützungskasse gegründet, deren Beiträge Arbeitgeber und Arbeitnehmer je Zur Hälfte trugen. Die Arbeiter erhielten freie ärztliche Behandlung und Medikamente. Die Einnahmen und Ausgaben der Kasse wurden auf jährlich rund 1000 Reichstaler geschätzt.
Mit dem Anwachsen der Industriebetriebe hatte in Würselen eine lebhafte Bautätigkeit begonnen. Oft wurden in einem Jahr 80 bis 90 neue Häuser errichtet. Ganze Straßenzüge entstanden neu, und da auch im benachbarten Aachen neue Stadtteile wie Pilze aus dem Boden schossen, fanden viele Arbeiter aus Würselen Beschäftigung im Baugewerbe. Die Löhne stiegen rasch, so dass im Jahre 1865 der Tagelohn für einen Handlanger 25 Silbergroschen betrug - für damalige Verhältnisse eine Menge Geld.
Aber wie immer bei einer stürmischen Entwicklung gab es auch diesmal Leidtragende. Es waren die Bauern, die immer mehr Arbeitskräfte an die Industrie und das Baugewerbe verloren und schließlich dazu übergehen mussten, „Gastarbeiter" anzuwerben: Männer und Frauen aus Holland, die bereit waren, in der Landwirtschaft zu arbeiten.
Einmal beim Bauen, wollte man in Würselen auch auf ein eigenes Rathaus nicht länger verzichten. 1904, am 11, Juni, wurde der Grundstein in zu dem heutigen Rathaus gelegt, aber schon acht Jahre später erwies es sich als zu klein und musste durch den Anbau eines Seitenflügels erweitert werden.
Die einzelnen Ortsteile, die diesem Rathaus aus verwaltet werden sollten, waren inzwischen immer mehr zusammengewachsen. Am 9. November 1904 hielt es daher die Regierung für notwendig, den zum Bezirk der Landgemeinde Würselen gehörenden Dörfern Bissen, Drisch, Elchenrath, Grevenberg, Haal, Morsbach, Oppen, Scherberg und Schweilbach, ferner den Weilern Dobach und Neuhaus wie den Wohnplätzen Duisburger Landstraße, Hochbrück, Kaisersruhe, Meiß, Teut und Strangenhäuschen die einheitliche Ortsbezeichnung „Würselen“ aufzuerlegen.
Nur bei den Wohnplätzen Knopp, Pumpermühle, Teuterhof, Adamsmühle und Wolfsfurth verzichtete man darauf. Sie dürften Ihre bisherigen Namen behalten, weil man es wegen der räumlichen Entfernung für ausgeschlossen hielt, dass sie jemals mit der übrigen Gemeinde verschmelzen würden.
Zur selben Zeit erhielten die einzelnen Straßenzüge Würselens ihre Straßennamen, wobei man darauf Wert legte; die alten Dorf- und Weilerbezeichnungen beizubehalten.
Die außergewöhnliche Ortsbezeichnung Kaisersruhe - oder weit häufiger gebraucht Kaisersruh - geht auf ein Ereignis im Herbst des Jahres 1818 zurück. Damals trafen sich die Herrscher Preußens, Österreichs und Russlands in Aachen zu einer europäischen „Gipfelkonferenz", dem Drei-Monarchen-Kongress. Auf ihm sollte der nach den napoleonischen Kriegen wiedererlangte Frieden in Europa auch für die Zukunft gesichert werden.
In den Kongresspausen unternahm Zar Alexander mit Vorliebe weite Ausritte in die Umgebung Aachens – meist inkognito. Einer von ihnen führte ihn am 12. November 1818 in die Nähe Würselens, wo er mit seinem Begleiter, einem russischen Offizier, auf einem Landgut Rast machte. Das Inkognito der beiden „Offiziere" wurde bald gelüftet, und fortan hieß der Ort, an welchem der hohe Herr zu ruhen geruhte - Kaisersruh. Übrigens mit allergnädigster Genehmigung des Zaren.
Anlagen der 1929 eingestellten Sodafabrikation an der Krefelder Straße
Nicht nur untereinander waren die Ortsteile Würselen im 19. Jahrhundert zusammengewachsen, auch den Nachbargemeinden hatte man jetzt engeren Kontakt. Dafür sorgte schon die Eisenbahn. Die erste Verbindung auf dem Schienenweg erhielt Würselen im Jahre 1875 mit einer Eisenbahnstrecke, die den Ort mit dem Bahnhof Aachen-Nord verband. In diese Zeit entstand auch der Bahnhof bei Elchenrath. 1892 die Eisenbahnstrecke Würselen - Kohlscheid in Betrieb genommen. Wenige Jahre später erfolgte der Ausbau der Kleinbahnlinie Aachen—Würselen, die am 22. August 1894 dem Verkehr übergeben wurde.
So bot Würselen an der Wende zum 20. Jahrhundert das Bild einer aufstrebenden Gemeinde, die frühzeitig den Weg von der reinen Landwirtschaft zur gewerblichen Großwirtschaft angetreten hatte, offen für den technischen und industriellen Fortschritt und in regem Austausch mit den Nachbargemeinden und der Stadt Aachen.
Auch die Einwohnerzahl hatte sich ständig nach oben entwickelt. Im Jahr 1900 zählte Würselen fast 10000 Einwohner. Sie alle glaubten fest daran, dass der Aufschwung ihres Ortes durch nichts aufzuhalten wäre.
Da fielen am 28. Juni 1914 die unheilvollen Schüsse von Sarajewo. die den Ersten Weltkrieg entfachten. Der Krieg und die nachfolgende Besetzung der Rheinlande durch französische und belgische Truppen unterbrachen jäh die Entwicklung, die so hoffnungsfroh begonnen hatte.
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