Die letzten Jahre des zweiten Weltkrieges sind die schwersten, die Würselen in seiner vielhundertjährigen Geschichte je zu überstehen hatte. Sie beginnen mit einer fast ununterbrochenen Folge von Fliegeralarmen, bei denen zahlreiche Häuser zerstört und viele Würselener getötet werden. Bei den Großangriffen auf die benachbarte Stadt Aachen bleibt auch Würselen selten verschont; Die Bevölkerung ist im Luftschutz geschult worden, bei Einbruch der Dämmerung müssen alle Häuser, die Straßenbeleuchtungen und Fahrzeuge verdunkelt werden. In den Kellern der Häuser sind Luftschutzräume eingerichtet, die Häuser selbst durch Kellerdurchbrüche als Fluchtwege verbunden. Alle Kellerlöcher haben wegen der Splittergefahr Abdichtungen erhalten. Außerdem sind im Sodaberg, bei den Singerwerken, in der Zechenhausstraße, der Balbinastraße und Aachener Straße Stollen angelegt worden; die der Bevölkerung bei Luftangriffen Schutz bieten sollen. Aber trotz all dieser Maßnahmen sind immer wieder Todesopfer zu beklagen.
Am 12. September 1944 wird zum letzten Mal Fliegeralarm gegeben. Es ist der 532. Alarm, wie eine Würselener Einwohnerin in einem Tagebuch vermerkt. Aber vergeblich warten die in der Stadt zurückgebliebenen Einwohner auf die Entwarnung. Sie erfolgt nicht mehr. Stattdessen schlagen am nächsten Tag die ersten Granaten in Würselen ein, der Kampf der vorrückenden Amerikaner um die Stadt hatte begonnen. Von nun an liegt das Gebiet von Würselen drei Monate lang unter ständigem Beschuss.
Pfarrkirche St. Sebastian nach dem zweiten Weltkrieg
Der Angriff der amerikanischen Truppen galt in erster Linie der Eroberung Aachens. Bis zum 21. September war Aachen von fast allen Seiten umfasst. Nur über die Krefelder und Jülicher Straße bestand noch eine lose Verbindung zum Hinterland, der „Schlauch von Würselen", der in jenen Tagen in den Kriegsberichten oft erwähnt wurde Aber auch sollte nicht mehr lange offenbleiben. In der am 2. Oktober 1944 beginnenden zweiten Schlacht um Aachen, bei der auch erbitterte Kämpfe um Bardenberg und Würselen und die dortigen Bunkerstellungen tobten, wurde der Schlauch immer mehr eingeschnürt, bis am 16. Oktober die Riegelstellung nicht länger gehalten werden konnte und Aachen völlig abgeschlossen wurde.
Am 21. Oktober erschien auf dem Bunker des Aachener Kampfkommandanten die weiße Fahne: Die deutschen Truppen ergaben sich den Streitkräften der I. US-Division.
In Würselen waren zu dieser Zeit von den rund 15000 Einwohnern nur wenig mehr als 1000 zurückgeblieben. Alle übrigen hatte man zum Teil unter Zwangsmaßnahmen evakuiert. Evakuiert war auch die Stadtverwaltung, die zunächst nach Stetternich im Kreis Jülich und von dort nach Hennef an der Sieg verlegt wurde. Eine ihrer Hauptaufgaben bestand zu diesem Zeitpunkt darin, die Anfragen der aus Würselen evakuierten Bürger zu beantworten, die aus allen Teilen Deutschlands eintrafen und in denen um Auskunft über das Schicksal von Angehörigen gebeten wurde.
Aber bleiben wir in Würselen bei jenen, die weder durch Überredung noch durch Drohungen zu bewegen waren, ihre Heimat vor der heranrollenden Kriegslawine zu verlassen, um sich in Sicherheit bringen. Ihr Schicksal wird in einem zeitgenössischen Bericht geschildert:
„Die nach all den Drangsalen, Nötigungen und Drohungen durch die Parteimänner in Würselen verbliebene Bevölkerung kampierte in den Kellern ihrer zerschossenen Häuser oder in den Stollen. Stellenweise hatten sich Kellergemeinschaften gebildet.
Hunderte von Männern und Frauen mussten Tag und Nacht ohne Unterbrechung in den Stollen zubringen. Dort war es fast immer dunkel und feucht; Das Wasser tropfte von den Wänden und Decken, der Boden war nass. An manchen Stellen stand das Wasser eine Handbreit hoch. Fast niemand konnte mehr liegen; die Menschen mussten stehen oder sitzen. Die Wasserversorgung war ebenso unterbrochen wie die Versorgung mit Licht. Man behalf sich mit Kerzen, soweit solche aufzutreiben waren.
Die Kartoffelernte konnte wegen des starken Beschusses und der Minengefahr nicht mehr eingebracht werden. Wer trotzdem versuchte, Kartoffeln heimzuholen, tat dies auf eigene Gefahr. Milch für die Säuglinge war kaum noch aufzutreiben.
Die Bevölkerung lebte von vorhandenen Lebensmittelvorräten und dem umherlaufenden und angeschossenen Vieh, das notgeschlachtet und verteilt wurde. Bei dieser Lage mussten die Lebensmittelrationen auf das Äußerste beschränkt werden. Nur während der kampffreie Zeit - früh, während der Mittagzeit und in den Abendstunden zwischen 5 und 6 Uhr war es möglich, Wasser aus einem intakt gebliebenen Brunnen heranzuholen.
Viele, die ihren Schlupfwinkel verließen, um frisch zu schöpfen, mussten dies mit Verletzungen oder gar mit dem Tod bezahlen. Einem sechszehnjährigem Mädchen wurde beim Wasserholen am Knopp durch Granatsplitter der Kopf abgerissen. Die Toten konnten vielfach nicht mehr auf dem Friedhof beerdigt werden, sondern wurden da begraben, wo das Schicksal sie ereilt hatte.“
In der Nacht zum 9. Oktober 1944 rollten die ersten amerikanischen Panzer durch die Gouleystraße und nahmen Morsbach. Trotz heftiger Gegenwehr gelang es den Amerikanern auch die nächsten Ortsteile Schweilbach und Scherberg zu besetzen. Die Aachener Straße und die Krefelder Straße bildeten jetzt die Hauptkampflinie, an der sich die vordersten Kampftruppen, nur durch eine Straßenbreite getrennt, gegenüberlagen.
Auf der deutschen Seite wurden noch einmal starke Panzereinheiten eingesetzt, die eine Wendung herbeiführen sollten. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Amerikaner, die die Angriffe mit Artilleriefeuer beantworteten, aus den besetzten Ortsteilen zu werfen. Andererseits konnten auch die Amerikaner im Kampf um das Zentrum von Würselen keine Geländegewinne verzeichnen, obwohl sie am 18. Oktober den Stadtkern mit schweren Bomben belegt hatten, um einen -schnellen Fortgang der Operation zu erzwingen.
Fast sechs Wochen ging die Front mitten durch Würselen. Da setzten die Amerikaner am 17. November 1944 zum entscheidenden Schlag an. Die verstörten, von Schrecken gelähmten Menschen, die in den Luftschutzkellern und Stollen bisher die Schlacht überlebt hatten, mussten ein fast dreistündiges Trommelfeuer über sich ergehen lassen.
Man schätzt, dass dabei 5000 bis 6000 Granaten auf das Stadtzentrum niedergingen; In die unheimlichen Stille, die dem Beschuss folgte, mischte sich am Morgen um 10 Uhr das Klirren der Panzerketten, als die ersten amerikanischen Panzer, ohne nennenswerten Widerstand zu finden, Würselen bis zur Bahnlinie Neuhäuserstraße - Friedrichstraße besetzten. Sie eroberten einen Ort, der durch die wochenlangen Kämpfe in ein grausiges Trümmerfeld verwandelt worden war, in dem berghohe Schutt- und Geröllmassen die Straßen bedeckten, so dass Räumpflüge eingesetzt werden, den Panzern einen Weg zu bahnen.
Das zerstörte Rathaus
Hören wir noch einmal den Bericht aus jenen Tagen: „An diesem Morgen zählte man 178 Männer, Frauen und Kinder, die aus den Kellern kamen. Jeder. hatte geglaubt, dass er der einzige Überlebende sei. Die Stadt war wie ausgestorben, und jeder fühlte das Unheimliche dieses Zustandes. Die ausgestandene Angst stand den Menschen noch immer in den Augen. Sie hatten sechs Wochen in vorderster alles miterlebt, was ein Krieg mit sich brachte, und eine ungeheure Nervenprobe bestanden."
In der Nacht vom 17. zum 18. November verließen die letzten deutschen Soldaten die Ortsteile Oppen und Haal. Am 18. November besetzten die Amerikaner morgens auch diese beiden Stadteile. Für Würselen war damit der totale Krieg zu Ende. Er hinterließ eine zu 79 Prozent zerstörte Stadt, verwüstete Straßen, aufgewühlte und verminte Felder, minenverseuchte Wege, Drahtverhaue; zersplitterte Baumstümpfe, Erdlöcher und Schützengraben - da, wo einstmals eine blühende Stadt gestanden hatte.
Hier endet genaugenommen die Geschichte Würselens, die Geschichte einer Stadt, wenn man Geschichte als die Darstellung des Vergangenen auffasst. Alles, was in den letzten 25 Jahren in Würselen geschah und noch geschieht, ist lebendige Gegenwart, blutvolle, von uns allen gestaltete und miterlebte Gegenwart, Aber eines Tages wird auch sie zur Geschichte dieser Stadt gehören. Es liegt an uns, an den Bürgern eines demokratischen Staates und einer demokratisch verwalteten Stadt, mitzubestimmen, wie diese später einmal geschrieben wird.
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